KringsBrief vom 27. Januar 2023
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Beginn des verbrecherischen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine währt bald schon ein ganzes Jahr. Es ist Russland trotz eines massiven Aufgebots und einer Kriegsführung, die Kriegsverbrechen ohne Rücksicht auf das internationale Recht gezielt in Kauf nimmt, nicht gelungen, die Ukraine zu unterwerfen. Um in diesem Kampf zu bestehen, ist die Ukraine dringend auf unsere Hilfe angewiesen. Daher begrüße ich die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine. Diese Entscheidung ist richtig und ich halte sie für angemessen.
Gleichzeitig muss man aber kritisieren, dass der Entschluss mit großer zeitlicher Verzögerung gefasst wurde. Auf diese Weise ist diplomatischer Schaden für Deutschland in der EU und der NATO angerichtet worden, denn es gab keinen objektiven Grund, die Unterstützung solange zu verzögern. Mit Blick auf die Unerbittlichkeit der russischen Kriegsführung und einer bevorstehenden Frühjahrsoffensive war die Entscheidung zur Lieferung von Kampfpanzern für die Ukraine sehr dringlich, ich hoffe nicht, dass die Lieferungen nun zur Abwehr der russischen Offensive zu spät kommen.
Bei der Unterstützerkonferenz für die Ukraine in Ramstein vorige Woche hat die Bundesregierung die Chance verpasst, gemeinsam mit den Partnern voranzugehen. Auch der deutsch-französische Ministerrat am letzten Wochenende ist eine verpasste Gelegenheit zum Schulterschluss gewesen. In Frankreich, der EU und der NATO ist so der Eindruck entstanden, dass man dieser Bundesregierung nicht trauen kann, dass man sie zu Entscheidungen drängen muss. Als Teil der Bundestagsdelegation musste ich mich bei unserem Besuch in der französischen Nationalversammlung genau davon überzeugen. Dieser Schaden bleibt auch über den Tag der Entscheidung hinaus leider bestehen. Deutschland ist mit dieser Politik, die auch noch sehr schlecht erklärt wird, international in eine Außenseiterrolle geraten.
Niemand im Bundestag tut sich mit einer solchen Entscheidung leicht. Aber der Bundestag hat auf Initiative der Unionsfraktion bereits im vergangenen April die Regierung aufgefordert, die Ukraine mit schweren Waffen zu unterstützen und eine Führungsrolle einzunehmen, damit der Krieg schneller beendet werden kann. Neun Monate Zögern und Zaudern, das ist die „Deutschland-Geschwindigkeit“, die unsere europäischen Partner leider wahrnehmen müssen.
Mit dieser Politik gefährdet der Bundeskanzler ein direktes strategisches Interesse Deutschlands. Der außenpolitische Reputationsschaden des letzten Jahres ist enorm. Die osteuropäischen und baltischen Alliierten zweifeln an unserer Verlässlichkeit. Die USA werden als „Feigenblatt“ für Eskalationsängste im Kanzleramt vorgeschoben. Die Koalitionspartner streiten. Und das deutsch-französische Verhältnis befindet sich auf einem Tiefpunkt: Ich war am vergangenen Sonntag Teil der deutschen Delegation in Paris anlässlich der 60-Jahr-Feier zum Élysée-Vertrag und habe die spürbaren Spannungen vor Ort erlebt. Sie wurden nirgends so deutlich wie in der Rede von Olaf Scholz, als er sich selbst und seine Rede vom August 2022 an der Karls-Universität in Prag zitiert hat. Die Prager Rede hat allerdings bereits im Sommer in Paris für Missmut gesorgt, weil Scholz ausführlich über Reformen in der Europäischen Union sprach, Frankreich aber mit keinem Wort erwähnte. Es ist daher für mich unverständlich, warum Olaf Scholz die Feierlichkeiten in Paris dazu nutzte, eben diesen Affront aus Prag neu aufzulegen.
Wahlrechtsreform: Verkleinerung des Bundestages mit starker Stimme für die Heimat
Die Ampel hat uns am 15. Januar 2023 „exklusiv und vertraulich“ einen Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform übersandt – und auch unmittelbar der Presse zugespielt. Heute Mittag wurden der Entwurf und seine Gegenentwürfe im Plenum des Deutschen Bundestages in erster Lesung debattiert.
Der Vorschlag der Ampel: Mit dem Entwurf soll der Deutsche Bundestag eine feste Größe von 598 Abgeordneten erhalten. Jeder Wähler soll zwei Stimmen haben, eine „Wahlkreisstimme“ für einen Direktkandidaten und eine „Hauptstimme“ für die Landesliste einer Partei. Die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag orientiert sich dabei allein an den abgegebenen „Hauptstimmen“. Überhang- und Ausgleichsmandate werden abgeschafft. Wenn in einem Bundesland mehr Direktmandate anfallen als einer Partei nach dem Hauptstimmenergebnis zustehen, werden diese überhängenden Direktmandate „gekappt“. Mit anderen Worten: ein gewonnener Wahlkreis ist noch längst kein gewonnener Wahlkreis. Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach den Zweitstimmen zustehen würde („Überhangmandate“), dann gelten die Wahlkreisbewerber mit den wenigsten Stimmen als nicht gewählt. Nach dem merkwürdigen Ampel-Modell zum Wahlrecht werden Wahlkreise aber gar nicht mehr „gewonnen“, sondern sie werden „zugeteilt“. Manche Wahlkreise werden so ohne Abgeordneten in Berlin sein. Die Wahlkreisstimme wird also entwertet. Man kann sich denken, was das für die Wahlbeteiligung in den betroffenen Wahlkreisen bedeutet, wenn dem Wähler durch die Kappung suggeriert wird, dass seine Stimme nicht genug Gewicht hat, um einen eigenen Abgeordneten nach Berlin zu schicken. Es ist kein Zufall, dass sich die Ampel auf dieses wenig demokratische Modell einigen konnte: Betroffen vom Mandatsentzug sind ganz überwiegend CDU- und CSU-Wahlkreise sowie einige wenige ostdeutsche Wahlkreise, die im Machtgefüge der SPD keine große Rolle spielen.
Außerdem betrifft diese Kappung nur die Direktkandidaten innerhalb einer Partei. Unabhängige Wahlkreisgewinner können nicht „gekappt“ werden und würden trotzdem in den Bundestag einziehen. Eine eklatante Ungleichbehandlung. Die angeblich „garantierte“ Größe des Bundestages von 598 Mitgliedern würde so auch erneut überschritten werden.
In dem von der Ampel vorgestellten Modell bleibt es bei 299 Wahlkreisen. Die bereits beschlossene und ab 2024 gültige Reduzierung auf 280 Wahlkreise soll rückgängig gemacht werden. Das reformierte Wahlrecht soll nach den Vorstellungen der Ampel bereits zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 Anwendung finden.
Obwohl die Ampel gegen die dringende Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts ihren Entwurf ohne jede Einbringung der größten Oppositionsfraktion vorgelegt hat, stehen wir zu Gesprächen und konstruktiven Lösungen bereit. Schon vor längerer Zeit haben wir mit dem „Echten Zwei-Stimmen-Wahlrecht“ ein System vorgeschlagen, das als einziges (1.) alle heutigen Wahlkreise erhält und für jeden Wahlkreisgewinner einen Bundestagssitz sicherstellt, (2.) eine Bundestagsgröße von 598 Mitgliedern dauerhaft und ohne Ausnahme garantiert, und (3.) auch keinerlei Bevorzugungen oder Benachteiligungen von unabhängigen Wahlkreiskandidaten vorsieht.
Zusätzlich unterstreichen wir unsere Gesprächsbereitschaft, indem wir alternativ auch ein Modell vorlegen, das im jetzigen System bleibt und folgende fünf Elemente enthält:
- Die Anzahl der Wahlkreise wird auf 270 reduziert.
- Die Regelgröße für Listenmandate wird auf 320 erhöht.
- Die Anzahl der unausgeglichenen Überhangmandate wird auf die verfassungsrechtlich zulässige Anzahl erhöht.
- Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland werden wie bisher mit Listenmandaten der gleichen Partei in anderen Bundesländern verrechnet.
- Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens fünf Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.
Auch mit diesen Vorschlägen erhalten wir den Wert der Wahlkreisstimme und stellen sicher, dass jeder Wahlkreis und damit jeder Bürger weiterhin einen Wahlkreisabgeordneten in Berlin hat. Der Deutsche Bundestag würde dennoch deutlich verkleinert.
Ich bin gespannt, ob die Ampel ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht einer Konsenssuche nachkommt oder ihren Entwurf durchpeitscht. Das Ampel-Modell der gestrichenen Wahlkreise und betrogenen Wähler würde zwar nach aller Voraussicht für NRW keine negative Wirkung entfalten. Es widerspricht aber allen demokratischen Grundsätzen. Deshalb lehne ich es gemeinsam mit meiner CDU-NRW-Landesgruppe ab.
Inflation bekämpfen – Europäische Wirtschaft stärken
Die horrende Inflation belastet nicht nur Europa, sondern auch die USA. Um der Wirtschaft zu helfen, geben die USA unvorstellbare Summen aus. Der Pferdefuß: Von den Hilfen profitieren ausschließlich dortige Unternehmen. Die EU-Kommission arbeitet bereits an einem Fitnessprogramm für Europa, verhandelt mit Washington. Und die Bundesregierung? Legt die Hände in den Schoß.
Von selbst geht die Inflation kaum wieder weg - das haben die USA verstanden. Deshalb haben sie ein Paket in dreistelliger Milliardenhöhe geschnürt. Gefördert werden damit Unternehmen, die in Klimaschutz, erneuerbare Energien und saubere Technologien investieren, also in zukunftsträchtige Bereiche. Bedingung: Die Produkte müssen auf heimischem Boden hergestellt werden. Das bedeutet: Europäische Unternehmen gehen entweder leer aus oder verlagern ihr Geschäft in die USA. Die EU-Kommission will am 1. Februar einen Plan zum Schutz der europäischen Wirtschaft vorstellen. Auch sie will Innovationen in Zukunftstechnologien fördern, damit Europa international wettbewerbsfähig bleibt. Um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Wichtig ist aber, dass die USA und Europa sich nicht gegenseitig das Leben schwer machen. Der Blick auf Russland, der Blick nach China zeigt: die transatlantische Partnerschaft wichtiger denn je.
Die monatelange Untätigkeit der Bundesregierung schwächt den Standort Deutschland und Europa. Nicht nur versäumt sie weiterhin entschlossene Maßnahmen zur Sicherung des Energieangebots. Seit Monaten warten Wirtschaft und unsere europäischen Partner auf eine klare Position der Bundesregierung zum U.S.-Gesetz zur Inflationsbekämpfung. Weder der Bundeskanzler noch der Bundeswirtschaftsminister haben bislang eine überzeugende und umfassende Strategie für eine europäische Antwort vorgelegt. Das Führungsvakuum in Europa unter dieser Bundesregierung zeigt sich erneut deutlich. Mit jeder verlorenen Woche fallen mehr Investitionsentscheidungen für die USA und damit gegen Deutschland und Europa.
CDU und CSU haben konkrete Vorstellungen, wie eine Antwort auf das US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung aussehen kann. Sie setzen sich für eine Gleichbehandlung europäischer Unternehmen mit amerikanischen ein. Damit Betriebe nicht in die USA abwandern, wollen sie eine Förderung von Zukunftstechnologien in der EU. Zum Beispiel der Wasserstofftechnologie. Fördertöpfe dafür hat die EU genug. Neue Schulden aufzunehmen ist unnötig. Und was eine kluge nationale Politik zur Inflationsbekämpfung angeht, setzen wir nicht auf mehr Subventionen, sondern auf die richtige Wirtschafts- und Energiepolitik einschließlich eines nachhaltigen Bürokratieabbaus.
Herzliche Grüße
Ihr Günter Krings
PS: In meinem KringsBrief der letzten Woche habe ich über die Silvesterkrawalle in Berlin und anderen deutschen Städten geschrieben. Dabei hat ein kleines „y“ das „i“ fälschlicherweise verdrängt. Wahrscheinlich war es das Y der Bundeswehr, die uns in diesen Zeiten besonders stark beschäftigt. :) Bitte entschuldigen Sie den Fehler – manchmal sind auch vier Augen blind.
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