Krings im Deutschlandfunk zur Abschaffung von § 219a

Günter Krings hat am vergangenen Freitag im Deutschlandfunk in einem Interview erklärt, warum die Beibehaltung des § 219a StGB (Werbungsverbot bei Abtreibungen) so wichtig ist. Der Bundestag hatte zuvor mit den Stimmen der Ampelkoalition den Paragraphen abgeschafft. Hier das Interview zum Nachlesen:
 

Interview im Deutschlandfunk vom 24.06.2022

Das Gespräch führte Josephine Schulz.

Schulz: „Herr Krings, was sollte daran falsch sein, wenn sich Frauen, die ungewollt schwanger werden, zum Beispiel im Internet umfassend und detailliert über einen Schwangerschaftsabbruch informieren können?“


Krings: „Daran ist erstmal gar nichts falsch und wir haben als Unionsfraktion sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt Wert darauf gelegt, dass Informationen verfügbar sind. Beispielsweise gibt es Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder der Ärztekammern. Darauf können auch Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, verweisen. Allerdings haben wir auf etwas Formalismus bestehen müssen, weil die Beratungspflicht der einzige Schutz ist, den das werdende Leben hat.“

Schulz: „Aber die gibt es ja auch weiterhin.“

Krings: „Ja, aber am Ende muss die Mutter entscheiden – das kann auch nicht anders sein, auch nicht nach dem Schutzkonzept, welches der Gesetzgeber beschlossen hat. Der einzige Schutz, den das ungeborene Leben hat, ist eben die Beratung. Und hier ist auch die Reihenfolge wichtig: Erst die Informationen durch die Beratungsstellen und dann der Gang zum Abtreibungsarzt. Und diese Reihenfolge ist eben nicht beliebig: Gerade wenn der Schutz des ungeborenen Lebens ein sehr kleiner ist, muss man diese Abfolge beachten. Nun haben wir aber auch gesagt, dass wir bestimmte Informationen durch den abtreibenden Arzt zulassen wollen, etwa über die Methodik. Aber die übrigen Informationen kann man sich an vielen anderen seriösen Stellen einholen, das muss dann nicht der abtreibende Arzt machen.“

Schulz: „Aber gerade wenn jetzt eine Frau ungewollt schwanger ist, dann führt ihr erster Weg ins Internet, um sich zu informieren oder die richtigen Beratungsstellen zu finden usw. Ist es also nicht auch wichtig, dass im Internet gute Informationen zur Verfügung stehen, von Ärztinnen und Ärzten?“

Krings: „Da stimme ich Ihnen absolut zu. Nur eine Frau, die betroffen ist, wird in der Regel nicht den Namen eines konkreten Arztes eingeben, sondern nach bestimmten Stichworten suchen – „ungewollt schwanger“, „Abtreibung“ – und da findet sie Informationen, und sie findet auch seriöse Informationen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder von den Ärztekammern. Genau das ist sichergestellt.“

Schulz: „Jetzt hat Justizminister Buschmann argumentiert, dass im Internet jeder Troll, jeder Ultra-Religiöse allen möglichen Unsinn über Schwangerschaftsabbrüche schreiben kann, aber qualifizierte Ärzte durften das bisher nicht – das ist doch schon eine schräge Situation.“

Krings: „Das hat er zwar schon öfters gesagt, aber die Wiederholung macht es nicht richtiger: auch Ärzte dürfen Informationen geben. Nur diejenigen Ärzte – eine recht überschaubare Zahl –, die Abtreibungen selber vornehmen, die müssen informieren, indem sie auf Informationen verweisen, etwa auf solche der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.“

Schulz: „Jetzt haben Sie und auch viele andere von immer „Werbung“ gesprochen, auch im Gesetz ist von Werbung die Rede. Inwiefern ist eine detaillierte Schilderung eines medizinischen Eingriffs Werbung?“

Krings: „Da kommt es auf den Einzelfall an. Aber natürlich ist Vieles geeignet, auch werbenden Charakter zu haben – wenn man beispielsweise auf eine „schnelle Terminvereinbarung“, die Vornahme des Eingriffs „in freundlicher Atmosphäre“ oder ähnliches hinweist. Auch wenn es sich nicht um reißerische Werbung handelt, ist das deshalb ein Problem, weil wir bei aller Notwendigkeit, dass die Möglichkeit für Abtreibung in jeder Region in Deutschland besteht, die Abtreibung doch keine normale medizinische Dienstleistung werden kann. Jetzt hat die Ampel das im Heilmittelwerbegesetz geregelt, sozusagen neben der Schönheitsoperation und ähnlichen Eingriffen, das finde ich unangemessen.“

Schulz: „Warum?“

Krings: „Weil es eben kein normaler ärztlicher Eingriff ist. Das sagt übrigens auch das Bundesverfassungsgericht: Dass es diese Leistung natürlich geben muss und geben darf, aber dass sie eben nicht wie ein normaler ärztlicher Heileingriff behandelt werden darf, auch nicht durch eine nicht-reißerische Werbung.“

Schulz: „Aber glauben Sie, dass Frauen, die ungewollt schwanger werden und sich darüber informieren, dass die dann denken „Oh, das klingt aber super – das will ich unbedingt machen“. Ist Werbung nicht das falsche Wort?“

Krings: „Nein, keine Frau wird sich wegen werbender Aussagen für eine Abtreibung entscheiden, das hat auch niemand behauptet. Aber es geht um das gesellschaftliche Gesamtbewusstsein, dass es keine normale ärztliche Dienstleistung ist. Und es geht eben nicht um einen Heileingriff, sondern es geht darum, dass ein Mensch getötet wird, der auch laut Bundesverfassungsgericht sich nicht zum Menschen, sondern schon als Mensch im Mutterleib entwickelt. Die Abtreibungsmöglichkeit muss es geben, aber man muss auch sensibilisieren dafür, worum es da geht. Und wenn beispielsweise einige Abtreibungsärztinnen sagen, es gehe nur um „Schwangerschaftsgewebe“, dann halte ich das für grob unangemessen und das kann man nicht akzeptieren.“

Schulz: „Trauen Sie das Ärztinnen nicht zu, Ärztinnen, die einen Eid geschworen haben, dass sie darüber sehr differenziert informieren?“

Krings: „In der Regel ja, aber ich habe ja gerade ein Beispiel genannt. Wenn eine Ärztin auf ihrer Homepage beispielsweise von „Schwangerschaftsgewebe“ spricht, dann ist sie durchgefallen bei der Frage, ob sie genau oder sensibel und korrekt informiert.“

Schulz: „Wenn Sie schon das Recht auf Leben ansprechen, würde ich gerne grundsätzlicher mit Ihnen über das Thema Abtreibung sprechen.“

Krings: „Darum geht es ja gerade – das Recht auf Leben.“

Schulz: „In den USA hat der Supreme Court heute das Recht auf Abtreibung gekippt. Was ist Ihre Meinung zu dem Urteil?“

Krings: „Ich bedaure das, weil es eine Diskussion wieder polarisiert. Ein bisschen habe ich die Sorge auch in Deutschland, wenngleich weit weniger stark. Dass man eine Debatte, die befriedet war, wieder ein Stück aufmacht – mit § 219a zwar nicht an der wichtigsten, aber doch an einer nicht ganz unwesentlichen Stelle – und dass eine befriedete Debatte wieder aufflammen kann, ist nicht gut für den gesellschaftlichen Konsens. Am Ende ist es auch nicht gut für die Versorgung mit Abtreibungsärzten. Ich meine, es werden weniger Ärzte bereit sein, diese schwierige Dienstleistung anzubieten, wenn das Thema wieder stärker polarisiert. In Amerika haben wir eine andere Lage. Dort gab es eine weit weniger liberale Gesetzgebung. In Deutschland ist es seit Jahrzehnten Konsens – eigentlich bei allen demokratischen Parteien, auch bei uns –, dass es Abtreibungsmöglichkeiten geben muss.“

Schulz: „Aber es steht trotzdem noch im Strafrecht.“

Krings: „Ja, aber es gibt ja die Möglichkeit, dass von Strafe abgesehen wird. Sie kennen ja das Verfahren, das Schutzkonzept. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen dem Gesetzgeber gesagt, was er als Mindestmaß an Schutz bereitstellen muss. In Amerika ist es genau umgekehrt. Da war der Gesetzgeber sehr streng, wie ich finde in vielen Einzelstaaten zu streng, und der Supreme Court hat auf der anderen Seite erst die Möglichkeit zur Abtreibung geschaffen. Die Diskussion der Verfassungsgerichte kommt also von zwei entgegengesetzten Seiten. In Amerika hat damals ein Supreme Court von der liberalen Seite her eine zu restriktive Gesetzgebung korrigiert; in Deutschland war es umgekehrt. Da war das Verfassungsgericht mehrfach der Auffassung, der Gesetzgeber ist hier zu offen und muss korrigiert werden, wenn auch ohne die Möglichkeit der Abtreibung damit in Frage zu stellen.“

Schulz: „In den USA hoffen jetzt viele auf ein Bundesgesetz, das ein Recht auf Abtreibung schafft. Wäre das ein guter Weg, wäre das nötig?“

Krings: „Also ich glaube, dass es auch in den USA wichtig wäre, dass die Debatte wieder befriedet wird. Ich kann mir aber jetzt  kein Urteil erlauben; ich habe zwar mal in Amerika studiert, aber wie dort die genaue Kompetenzordnung ist und wie weit der Bundesgesetzgeber eingreifen darf? Denn auch ein neues Bundesgesetz wäre ja voraussichtlich wieder Gegenstand einer Entscheidung des Supreme Courts. Ich habe aber ein wenig die Sorge, dass die Debatte in Amerika nicht befriedet sein wird, jedenfalls nicht in nächster Zeit und es sich weiter polarisiert und das ist keine gute Entwicklung.“

Schulz: „Jetzt sagen Sie, in Deutschland war die Debatte befriedet. Das würden, glaube ich, viele Frauen, viele Menschen anders sehen. Viele fordern jetzt, dass es noch weiter geht, dass man den § 218 abschafft. Was spricht dagegen? Ist es noch zeitgemäß, dass Frauen Kriminelle sind, wenn sie eine Abtreibung durchführen?“

Krings: „Es geht ja nur um die Ärzteschaft – was die strafrechtlich darf und was nicht. Und noch einmal: Es ist ein echtes Dilemma. Wir haben das Selbstbestimmungsrecht der Frau, was wichtig ist, und wir haben das Lebensrecht des Kindes. Und das kann man nicht so einseitig und einfach abräumen und sagen: „Das ist nicht mehr zeitgemäß“. Es handelt sich um einen Menschen im Mutterleib und damit muss man sensibel umgehen. Und auch das, was wir jetzt haben, finden nicht alle gut.“

Schulz: „Aber glauben Sie, das wissen die Frauen nicht, glauben Sie, die machen sich eine Abtreibung leicht?“

Krings: „Nein, aber auch da hat das Bundesverfassungsgericht klar und nachvollziehbarerweise gesagt, dass es um den Schutz einer Zweiheit in der Einheit geht. Und natürlich muss der Schutz des Fötus in der Regel mit der Mutter erfolgen. Aber es gibt zumindest dieses eine kleine Verfahrensrecht, die Beratungspflicht. Das ist das Einzige, was der Fötus gegenüber der Mutter hat, dass sie das machen muss. Das finde ich nachvollziehbar. Und wenn man das aufgeben würde, würden wir auch das, was das Verfassungsgericht nachvollziehbarerweise von uns fordert, nicht mehr erfüllen. Dies genau ist meine Sorge. Dass dann – vielleicht noch nicht jetzt – eine Polarisierung in der Gesellschaft stattfinden würde. Dass wir dann zu Demonstrationen der einen oder anderen Seite kommen. Und hier finde ich es gut, dass Herr Buschmann gesagt hat, dass er § 218 nicht abschaffen wird – die Familienministerin sagt das Gegenteil. Ich glaube, die Ampel muss erstmal  klären, was sie denn genau will.“

Schulz: „Aber, ich meine, in der Konsequenz bedeutet das dann, dass Frauen nach Ihren Worten durchaus die Möglichkeit haben sollen, eine Schwangerschaft abzubrechen; aber wenn es im Strafgesetzbuch bleibt, dann bedeutet das auch, dass sie sich hinterher trotzdem wie Kriminelle fühlen sollen.“

Krings: „Nein, das sollen sie natürlich nicht, sondern sie sollen im jetzigen Verfahren eine Beratung durchlaufen und das ist, glaube ich, richtig und wichtig.“

Schulz: „Das sagt Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Herzlichen Dank Herr Krings, für Ihre Zeit und das Gespräch.“

Krings: „Sehr gerne.“