KringsBrief vom 1. Dezember 2023

01.12.2023

Themenübersicht:
verfassungswidriger Haushalt, Elementarschadenversicherung, Urteil zur Wahlrechtsreform 2020

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute geht eine ungewöhnliche Sitzungswoche zu Ende. Eigentlich sollte in dieser Woche der Bundeshaushalt für das Jahr 2024 abschließend beraten und heute verabschiedet werden. Aufgrund des Karlsruher Urteils, nach dem vor zwei Wochen der laufende Haushalt 2023 als verfassungswidrig erklärt wurde, hat die Ampelkoalition den Haushaltsentwurf jedoch zurückgezogen, und sucht seitdem nach Erklärungen und Entschuldigungen.

Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers am vergangenen Dienstag ließ nicht nur mich verwundert zurück. Mit Worthülsen reagierte er auf die verfassungswidrige Haushaltsgestaltung der Ampel-Koalition. Lösungen präsentierte er nicht. Warum dann überhaupt eine Regierungserklärung, wenn man nichts erklärt? Im Bundestag erlebten wir einen sprach- und orientierungslosen Kanzler. Und ich fürchte, es wird inzwischen immer klarer: Die Ampel ist den Herausforderungen unseres Landes nicht gewachsen.

Die Konstruktion der Sondertöpfe zur Umgehung der Schuldenbremse, die Olaf Scholz ja selbst erfunden hat, war eine bewusste Manipulation der Verfassung, die einzig den Zweck hatte, die widersprüchlichen Wünsche der Ampelparteien zu erfüllen. Da hilft es der Regierung auch nicht, die Schuld wahlweise dem Verfassungsgericht oder der angeblich so nicht gedachten Schuldenbremse geben zu wollen. Als Mitglied der damaligen „Föderalismuskommission II“ habe ich an dieser Schuldenbremse mitgewirkt und kann aus eigener Anschauung sagen: Es waren und sind genau solche Tricksereien und Versuche, Schulden ohne transparente und stichhaltige Begründung aufzunehmen, die wir mit dieser Schuldenbremse unterbinden wollten. Denn es ging uns damals in der Kommission und heute in unserer Fraktion um eine generationengerechte und nachhaltige Finanzpolitik. Zügelloses Schuldenmachen hingegen vernichtet die Zukunft künftiger Generationen.

Statt nun endlich ein solides Konzept für die Haushaltsberatungen zu erarbeiten, verhalten sich weite Teile der Ampel eher wie Süchtige auf der Suche nach der „Droge Geld“.

Wir haben als Opposition konkrete Punkte benannt, worauf man achten muss und wo man sparen kann. Dazu aber muss man den Mut haben, auch Einschnitte vorzunehmen, auf Projekte zu verzichten und bestehende Ausgaben zu stoppen. Zum Beispiel muss das Bürgergeld in der jetzigen Form abschafft werden. Der Grundsatz des gleichzeitigen Förderns und Forderns muss wieder gelten. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Dafür muss man eigene Anstrengungen unternehmen und bereit sein, aktiv zu werden. Oder bei der sogenannten Kindergrundsicherung, wofür 5000 neue Beamten-Stellen von der Ampel geschaffen werden sollen. Die Regierung schafft neue Bürokratie und denkt dabei gar nicht an die Kinder. Das Geld kann besser investiert oder gleich eingespart werden.


Elementarschadenversicherung ausweiten

Dass aus der lang vorbereiteten „Haushaltswoche“ eine „normale“ Sitzungswoche wurde, haben wir als Oppositionsfraktion genutzt, indem wir wichtige Vorhaben kurzfristig auf die Tagesordnung heben konnten. Ein Thema, dass bereits mit den Ländern intensiv verhandelt werden konnte, ist die Neuregelung der Elementarschadenversicherung. Dazu habe ich gestern Abend eine Rede im Bundestag gehalten und unseren Antrag vorgestellt.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind inzwischen auch in Deutschland spürbar. Die Groß- und Kleinschadenereignisse, die sich auf Klima- und Wetterveränderungen zurückführen lassen, nehmen stetig zu. Dabei stellen insbesondere die zunehmende Zahl an Starkregenereignissen ein großes Problem dar. Die bei Elementarschadenereignissen auftretenden Schäden sind für die Eigentümerinnen und Eigentümer zunehmend von existenzieller Bedeutung und können schnell in die Hunderttausende Euro gehen. Die einfache Wohngebäudeversicherung leistet in der Regel nicht bei Überschwemmung und Starkregen, sondern lediglich bei Feuer, Blitzschlag, Sturm und Hagel. Für den Schutz gegen solche Ereignisse bedarf es einer Elementarschadenversicherung, die im Rahmen der Wohngebäudeversicherung gegen eine Zusatzprämie angeboten wird. Lediglich etwa 50 Prozent der circa 8,5 Mio. Wohngebäudeversicherungen in Deutschland besitzen eine Elementarschadenabsicherung. Eine Ursache hierfür ist, dass sich viele Eigentümerinnen und Eigentümer in der Sicherheit wiegen, dass auch bei zukünftigen katastrophalen Schadensereignissen für nicht versicherte Wohngebäude aus Billigkeitserwägungen staatliche Hilfen gezahlt würden. Mit unserem Antrag fordern wir deshalb eine gesetzliche Regelung, dass im Neugeschäft die Wohngebäudeversicherung nur noch mit einer Elementarschadenabsicherung angeboten wird, die nach Belehrung über die Konsequenzen abgewählt werden kann (Opt-Out). Im Bestandsgeschäft sollen sämtliche Wohngebäudeversicherungen zu einem Stichtag um eine Elementarschadenversicherung erweitert werden, die innerhalb einer gewissen Frist nach Belehrung über die Konsequenzen gleichfalls abgewählt werden kann. Unser Ziel ist ein Elementarschadenschutz für möglichst alle Haus- und Wohnungseigentümer. Das entlastet auch den Steuerzahler, weil der Staat bei Großschadensereignissen dieser Art dann künftig nicht mehr als Geldgeber für private Schäden einspringen muss.

Meine ganze Rede können Sie hier noch einmal nachverfolgen.


Karlsruher Urteil zur Wahlrechtsreform 2020

Nicht nur zum Haushalt hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt – in dieser Woche gab es auch eine Entscheidung zur Wahlrechtsreform, die im Jahr 2020 von der Großen Koalition verabschiedet wurde. Zum Hintergrund: Mit der Wahl 2017 war der Deutsche Bundestag auf 709 Abgeordnete angewachsen. Die damaligen Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD legten deshalb im September 2020 einen Entwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vor. Dieser sah im Kern folgende Regelungen vor: Die Regelgröße des Bundestages von 598 Sitzen wurde beibehalten. Die Zahl der Wahlkreise wurde ab 2024 auf 280 reduziert. Zudem wurde – bereits mit Wirkung für die Bundestagswahl 2021 – eine Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens vorgenommen: Demnach sollte mit dem Ausgleich von Überhangmandaten erst nach dem dritten Überhangmandat begonnen werden. Ein weiterer Aufwuchs des Bundestages wurde zudem durch Anrechnung von Wahlkreismandaten auf Listenmandate derselben Partei in anderen Ländern vermieden.

Gegen dieses Wahlrecht haben Abgeordnete von FDP, Grünen und Linken vor dem Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage angestrengt. Das Gericht hat jetzt entschieden: Das Bundeswahlrecht 2020 ist verfassungsgemäß (Urteil vom 29. November 2023, 2 BvF 1/21). Die Begründung des Gerichts für seine Entscheidung lautete, dass der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsauftrags Überhangmandate zulassen darf, solange sich die damit verbundene Differenzierung des Erfolgswerts der Wählerstimmen innerhalb des Konzepts der personalisierten Verhältniswahl hält. Das bedeutet: Eine gewisse Durchbrechung der Verhältniswahl durch (unausgeglichene) Überhangmandate ist zulässig. Denn der Gesetzgeber darf sich für ein personalisierendes Element innerhalb des Verhältniswahlrechts entscheiden – also für einen stärkeren Einfluss der Wahlkreisstimme (Erststimme) auf die Zusammensetzung des Bundestages. Das gilt auch, wenn dadurch die Zusammensetzung des Bundestages nicht mehr genau dem Verhältnis der Zweitstimmen entspricht.

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Wahl des 20. Deutschen Bundestages auf einer rechtssicheren Grundlage stand, und die Bedeutung der Personenwahl (Erst-Stimme) gestärkt. Das ist auch wichtig für die Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin Anfang nächsten Jahres: Nach der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 2 BWahlG findet die Wiederholungswahl nach denselben Vorschriften wie die Hauptwahl statt. Daher ist es gut, dass jetzt Sicherheit über die Verfassungskonformität des alten Wahlrechts besteht.

Das Urteil wird aber auch Konsequenzen für die verfassungsgerichtliche Einschätzung des neuen Ampel-Wahlrechts haben. Zwar betrifft das Urteil das zuvor geltende Wahlrecht; gleichwohl enthält das aktuelle Urteil Hinweise, welche Gestaltungsspielräume der Gesetzgeber im System des personalisierten Verhältniswahlrechts hat. So betont das Bundesverfassungsgericht, dass unausgeglichene Überhangmandate bis zur Hälfte der für die Bildung einer Fraktion erforderlichen Anzahl an Abgeordneten zulässig sind. Also könnten bis zu 15 Überhangmandate unausgeglichen bleiben.

Unser Gegenvorschlag für eine Wahlrechtsreform stimmt mit den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen überein. Wir hatten gefordert: Reduzierung der Wahlkreise auf 270, bis zu 15 Überhangmandate unausgeglichen lassen, Grundmandatsklausel auf fünf zu gewinnende Wahlkreise erhöhen. Damit wäre eine deutliche Reduzierung der Größe des Bundestages in Richtung der Regelgröße von 598 Abgeordneten auf verfassungsgemäße Weise möglich. Die Wahlrechtsreform der Ampel ist hingegen massiven verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Wir klagen daher gegen das Ampelwahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht.

Fazit: Das Bundesverfassungsgericht hat ein wichtiges Grundsatzurteil zum Wahlrecht getroffen. Es hat deutlich gemacht, dass es im personalisierten Verhältniswahlrecht verfassungsgemäße Möglichkeiten gibt, um das weitere Anwachsen des Bundestages zu begrenzen. Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht auf die Stärkung des personalen Elements hingewiesen und darauf, dass dies ein verfassungslegitimes Ziel ist. Unausgeglichene Überhangmandate sind deshalb in begrenztem Umfang verfassungsgemäß.

Im Hinblick auf das von der Ampel gegen die Opposition durchgedrückte Wahlrecht von 2023 bedeutet das: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt ein wichtiges Element unseres konstruktiven Gegenvorschlags – nämlich die Nicht-Ausgleichung von Überhangmandaten – als geeignet und verfassungsrechtlich zulässig.

Die Ampel sollte jetzt innehalten und ihre selbst-begünstigende Wahlrechtsänderung zurücknehmen. Denn dieses Wahlrecht führt zu einer „Nichtzuteilung“ von gewonnenen Wahlkreisen in so großer Zahl, dass sogar alle gewonnenen Wahlkreise einer Partei in einem Bundesland verloren gehen könnten. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Wahlrechtsreform der Ampel mehr denn je massiven verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Wenn die aktuelle Regierungsmehrheit noch eine „staatspolitische Verantwortung“ empfindet, muss sie jetzt neue Verhandlungen mit der Union über ein faires und verfassungskonformes Wahlrecht aufnehmen.

Herzliche Grüße

Ihr Günter Krings